Diskussionspapier
Kaufland und Vitalia nehmen die Produkte von Attila Hildmann aus dem Sortiment, ein niederländisches Unternehmen lehnt einen Millionenauftrag ab und wird keinen Rasen für die WM-Stadien nach Katar liefern, und Twitter sperrt den Account von Donald Trump. Die drei Beispiele machen deutlich: Viele Unternehmen möchten verstärkt zeigen, für welche Werte sie stehen und nehmen dafür sogar Auswirkungen auf ihr Kerngeschäft in Kauf. Verschiedenste Aspekte spielen dabei eine Rolle. Neben dem gut geführten Unternehmen, das erfolgreich agiert, professionalisiert sich immer mehr auch die ökologische und soziale Positionierung.
Dies spiegelt sich auch in den Ergebnissen des Monitors Unternehmensengagement wider, in welchen rund 65 Prozent aller befragten Unternehmen und knapp 80 Prozent der befragten DAX 40 Unternehmen angaben, dass Unternehmen für Demokratie und gesellschaftlichen Zusammenhalt einstehen sollten.
Allerdings strahlen Firmenlogos nicht überall in den gleichen Regenbogenfarben. "Das Problem: Die Konzerne zeigen ihre politische Haltung nur in jenen Ländern, in denen es ihnen kommerziell nicht wehtut", so kommentiert das Handelsblatt das Verhalten einiger deutscher Firmen, welche ihr Firmenlogo auf ihren Social-Media-Kanälen in Regenbogenfarben erstrahlen lassen – allerdings nur auf den deutschen Kanälen. Das liegt daran, dass insbesondere multinationale Unternehmen auch in komplexe Stakeholderinnen und Stakeholder Landschaften eingebettet sind und nicht allein aus Eigeninitiative agieren, sondern vielmehr oft auf den Druck von außerhalb reagieren (müssen).
Bei einem Workshop des W.I.E.-Netzwerks zusammen mit ZiviZ im Stifterverband und der Bertelsmann Stiftung, diskutierten Vertreterinnen und Vertreter aus Unternehmen, Hochschulen und NGOs dieses Thema. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren sich einig, dass ein von außen kommender Druck auf sie ausgeübt wird, sich zu fast schon tagespolitischen Themen zu positionieren.
Für den (wahrgenommenen) Druck auf Unternehmen, sich zu gesellschaftlichen Themen zu positionieren und auf tagespolitische Ereignisse zu reagieren, konnten folgende Gründe als wesentliche Treiber identifiziert werden:
Doch trotz dieses gewachsenen Drucks auf Unternehmen zeigt der Monitor Unternehmensengagement einen rückläufigen Trend: Vor Corona gaben noch rund 50 Prozent der befragten Unternehmen an, für den guten Zweck Flagge zu zeigen, also sich zum Beispiel in öffentliche Debatten einzumischen, und 17 Prozent gaben an, dies auch regelmäßig zu tun. In der Befragung im November 2020 ist dieser Wert auf knapp 40 Prozent gefallen, für regelmäßiges Einmischen sogar auf nur elf Prozent.
Auffallend ist dabei, dass die Werte für größere Unternehmen für beide Engagement-Dimensionen jeweils circa zehn Prozentpunkte höher sind. Dieses Bild zeigte sich bereits in der Befragung vor Corona (2018) sowie in den beiden Befragungsrunden während der Coronakrise (März und November 2020). In der Sonderbefragung "DAX 40" (Januar 2021) gaben 78 Prozent der Unternehmen an, für den guten Zweck Flagge zu zeigen, ein Drittel davon regelmäßig. Dies deutet darauf hin, dass insbesondere bei kleineren Unternehmen, Herausforderungen und Hemmnisse existieren, sich gesellschaftspolitisch zu positionieren.
Einige der Herausforderungen wurden während des W.I.E.-Workshops identifiziert: Zum einen erfordert die Kombination von sozialen Medien mit wechselnden tagespolitischen Ereignissen die bereits angesprochene enorme Reaktionsfähigkeit, welche oftmals mit internen Strukturen und Prozessen kollidieren kann. Zum anderen fehlen insbesondere bei kleinen Unternehmen diese Prozesse und Strukturen oftmals vollkommen, was auch erklären könnte, weshalb der Monitor Unternehmensengagement noch geringere Werte aufzeigt. Außerdem hilft eine etablierte fundierte interne Auseinandersetzung mit der eigenen gesellschaftspolitischen Haltung, um bei konkreten Anlässen zeitnah handeln zu können – auch diese fehlt noch bei vielen Unternehmen. Ein weiterer Aspekt, welcher im Workshop der W.I.E. beleuchtet wurde, ist, wie gesellschaftspolitische Aussagen von Unternehmen wahrgenommen werden und ob diesen Glauben geschenkt wird. Dabei besteht sowohl auf Seiten der Unternehmen als auch der Konsumentinnen und Konsumenten die Gefahr eines "attitude behavior gap", also Aussagen über die eigenen (meist moralischen) Ansprüche zu tätigen, aber gleichzeitig eine fehlende Umsetzung im Handeln. So bleiben nachhaltige Produkte liegen, und PR-Kampagnen finden sich nicht in der eigenen Kultur wieder.
Insgesamt lässt sich festhalten, dass Unternehmen heutzutage mehr als je zuvor in komplexe Landschaften mit Stakeholderinnen und Stakeholdern eingebunden sind und der Druck, sich (aktiv) gesellschaftlich zu positionieren, steigt. Dies bedeutet vor allem, dass eine Sensibilität in Unternehmen geschaffen werden muss, dass Nicht-Positionierung nicht Neutralität entspricht und somit dem Unternehmen schaden könnte. Es besteht also aktiver Handlungsbedarf.
Hierbei sollte eine gesellschaftspolitische Positionierung sich nicht auf die Markenkommunikation reduzieren. Neben der Auseinandersetzung mit der Geschäftsart gilt es, den Blick nach innen zu richten und zu reflektieren, wie das Unternehmen mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Partnerinnen und Partnern sowie Lieferantinnen und Lieferanten der Lieferkette agiert. Stabilisierend wirkt somit eine strategische Verankerung der internen Auseinandersetzung mit der eigenen gesellschaftspolitischen Haltung, welche sowohl Outside-In als auch Inside-Out gedacht werden sollte – um Klarheit für die Gesamtorganisation zu schaffen. Dies sollte sowohl mit verständlichen Guidelines als auch mit einer auf die unterschiedlichen Unternehmensbereiche angepasste Kommunikation verbunden werden. Insgesamt sollte allerdings nicht das "ob" im Vordergrund stehen, sondern vielmehr die Frage nach dem "wozu" und "wie". Somit wird die gesellschaftspolitische Positionierung für Externe nachvollziehbar und bekommt internen Rückhalt. Schlüssig und schnell wird sie, wenn gesellschaftliche Positionierung zusammenspielt mit einem Verständnis über die eigene Rolle in der Gesellschaft und dem damit zusammenhängenden "organizational purpose".
Weiterhin erscheint eine bessere Vernetzung von Akteurinnen und Akteuren sowie Stakeholderinnen und Stakeholdern von hoher Relevanz. Dies kann beispielsweise durch den Aufbau von Clearing-House-Strukturen oder Communities of Practice erfolgen, welche den Austausch von Wissen oder auch best practices zu Themen der politischen Verantwortung von Unternehmen ermöglichen. Innerhalb dieser Netzwerke aber auch zwischen Unternehmen, Politik und Öffentlichkeit sollte das politische Engagement diskutiert werden.
Diskussionen zum politischen Engagement von Unternehmen sollten nicht nur in Unternehmensnetzwerken stattfinden. Auch in der Politik und Öffentlichkeit sollte das Thema kritisch reflektiert werden:
Joris-Johann Lenssen & Elena Dobler:
Werden Unternehmen politischer?
Wie sich Unternehmen gesellschaftspolitisch positionieren
Herausgeber: Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft
Erschienen im September 2021
Dieses Diskussionspapier entstand
im Rahmen der Peer-Plattform
Wirtschaft.Initiative.Engagement. (W.I.E.).
Beispielhaft für solche Initiativen ist die Peer-Plattform Wirtschaft.Initiative.Engagement. (W.I.E.), auf dessen Diskussionen auch diese Veröffentlichung basiert. Die W.I.E.-Gruppe besteht aus: